Wie Felix zwischen Schneeflocken das Glück fand
Felix saß traurig auf einer Bank und ließ die Beine baumeln. Sein Leben als Weihnachtswichtel war in den letzten Wochen alles andere als leicht gewesen. Ihr müsst nämlich wissen, dass Weihnachtswichtel ihren Job verdammt erst nehmen. Schließlich sind sie nicht nur die Helfer vom Weihnachtsmann, sondern auch verantwortlich für Freude und schöne Erinnerungen in der Vorweihnachtszeit. Felix stand seinen Wichtel-Kollegen da in nichts nach. Und doch gab es ein Problem. Sie ärgerten ihn! Sie ärgerten ihn, weil er nicht wie sie Tomte, Lasse, Nils oder Lars hieß, sondern eben Felix. Ja genau, Felix wie das Katzenfutter. Sie miauten ihm hinterher, schnupperten an ihm und riefen ihn nicht bei seinem Namen, sondern machten: »miez! miez!«. Wie er das hasste. Am liebsten würde er sie beim Weihnachtsmann verpfeifen. Dann bekämen sie einen ordentlichen Satz kalte Ohren. Schön dick eingerieben mit frisch gefallenem Schnee. Aber nein, er verpetzte sie nicht. Lieber saß er hier allein an der Promenade, sah den Schnee fallen und wartete bis es finster war. Dann konnte er sich nach Hause schleichen und hoffen, dass die anderen schon schliefen.
Und wie er da so saß, erleuchteten die Laternen eine nach der anderen, bis da hinten wo die Seebrücke stand. Und dazwischen tanzten die Flocken. Sie tanzten und tanzten immer wilder, bis Felix kaum noch hundert Meter weit sehen konnte. Die Fassaden der Häuser verschwammen und wo gerade noch Gehweg und Straße waren, war jetzt nur noch Weiß. Selbst die kahlen Sommerlinden hatten schon Schneemützen auf. Wie wunderschön das war. Eine Flocke landete direkt auf Felix’ Nasenspitze, kitzelte ihn und zog wie ein Magnet an seinen Mundwinkeln, die gar nicht anders konnten als nach oben zu schnellen. Felix lachte und seine Augen strahlten wie zwei Sterne in der Dunkelheit. Er sprang von der Bank, streckte die Arme zu den Seiten aus, legte den Kopf in den Nacken und drehte sich. Das war ein bisschen wie fliegen. Wie gern würde er fliegen können. Die Promenade entlang, im Slalom um die Laternen herum, über Uwes Fischerhütte hinweg aufs Meer hinaus. Dann würde er einen großen Bogen machen, auf dem nördlichen Turm der Seebrücke anhalten und sich das weihnachtliche Ahlbeck mal aus einer ganz anderen Perspektive ansehen. Hach, das wäre so schön. Und wie er sich so drehte und vom Fliegen träumte, prallte er plötzlich gegen etwas Weiches. Erschrocken hielt er an und öffnete die Augen. Vor ihm stand ein alter Mann in einem schwarzen Mantel. Und der sah mächtig grimmig aus.
»Tschuldigung,« stotterte Felix verlegen, »hab Sie nicht gesehen. Ich…Ich bin nur gerade geflogen…über die Seebrücke…wissen Sie?«
Da lächelte der Alte und seine Augen wurden freundlich und warm. »Nicht schlimm! Aber sag, was machst Du bei diesem Wetter hier? Und vor allen zu dieser Zeit?«
»Ach wissen Sie, ist ja bald Weihnachten und ich bin Wichtel und ich hab viel um die Ohren…«, begann Felix und erzählte seine Geschichte. Auch, dass die anderen ihn neckten und dass er unglücklich mit seinem Namen war.
»So? Verrätst Du mir Deinen Namen, wegen dem Dich alle ärgern?« fragte der Alte und gemeinsam gingen sie ein Stück die verschneite Promenade entlang.
»Ich heiße Felix. Felix wie das Katzenfutter.« Die wenigen Worte zogen alle Freude aus dem kleinen Wichtel, sein Rücken krümmte sich und er schritt niedergeschlagen neben dem Alten her.
»Felix. Hm, ja. Ich kannte tatsächlich einen Kater, der so hieß.«, schmunzelte der Alte, während Felix die Augen verdrehte. Das brauchte er jetzt nicht auch noch.
Er stemmte die Arme in die Hüften, sah den Alten verärgert an und sagte: »Na vielen Dank auch. Wenn Sie mir bitte sagen könnten, wo ich einen anderen Namen herbekomme, wäre das sehr schön.«
»Aber nein!«, entgegnete der alte Mann, »lass mich Dir die Geschichte von Kater Felix erzählen.«
»Na gut, wenn es nicht allzu lange dauert«, antwortete der Wichtel genervt.
Und so begann der Alte zu erzählen: »Felix wurde in einem Hinterhof gleich hier in der Nähe geboren. Es war an einem kalten Wintertag Ende Februar. Und wie er auf die Welt kam, freute sich der Frühling so sehr, dass er sich beeilte, den alten Winter zu vertreiben. Er schickte warme Sonnenstrahlen für Felix und seine Geschwister und so wuchsen sie behütet auf. Doch dann kam der Tag, an dem fremde Menschen seine Geschwister holten und ihn allein zurückließen. Er war traurig und allein, und er verstand nicht, warum sie alle weg waren. Er streunte durch die Gegend, auf der Suche nach ihnen. Doch er fand sie nicht. Eines Tages sah er einen kleinen Jungen auf der Straße sitzen. Der spielte mit Steinen und schien auch sehr traurig zu sein. Felix setzte sich neben ihn, rieb seinen Kopf am Bein des Jungen und schnurrte leise. Und wie durch einen Wunder verbanden sich die Seelen der beiden. Denn auch der Junge hatte seine Familie verloren, genau wie Felix. Jetzt waren sie nicht mehr allein. In den Jahren, die dann folgten, erlebten sie alles gemeinsam. Sie streunten durch die Straßen, tobten die Promenade entlang und eroberten den Strand. Für den Jungen ging Felix sogar auf ein Boot. Er war nämlich Kapitän auf hoher See. Jedenfalls solange er das Wasser nicht berühren musste. Eines Tages, als Felix schon sehr alt war, lernte der Junge ein Mädchen kennen. Er träumte von der Zukunft und von einem Sohn, der auch Felix heißen sollte. „Aber warum Felix?“, wollte der Kater wissen. „Na, weil Du so heißt und weil Du mein bester Freund bist und weil ich neulich gelesen habe, das Felix „glücklich“ bedeutet und dass Du Glück bringst. Stimmt das etwas nicht?“ Der Kater grübelte einen Moment und begann dann zu lachen. „Ja, wie recht Du hast!“ rief er. „Ich bin Felix, der Glückspilz, weil ich Dich gefunden habe, und ich mache Dich glücklich. Das gefällt mir!“«
Der Alte machte eine Pause und sah den Wichtel an, der jetzt mit großen Augen da stand und plötzlich zu wachsen schien.
Dann sprach er weiter: »Und so kam es, dass der Junge, der nun schon ein Mann war, einen Sohn bekam. Er nannte ihn Felix. Jeden Abend erzählte er ihm von den Abenteuern, die er und der Kater erlebt hatten. Und wie dankbar er war, dass dieses kleine Wesen in seiner schlimmsten Zeit einfach das Kater-Köpfchen an sein Bein gelegt hatte. Felix war immer das Beste, was ihm passieren konnte. Einst war es der Kater und später der Sohn. Vergiss niemals, dass Du ein Felix bist!« So endete der Alte und strich dem Wichtel über die Wichtelmütze.
»Ich bringe also Glück?«, fragte der leise.
»Ja, Du bringst Glück.«, antwortete der Alte und nickte.
»Aber stimmt das auch? Wie kannst Du Dir so sicher sein?«, wollte Wichtel Felix wissen.
»Weil ich der Junge war und Kater Felix mein Freund.«
»Aber das ist ja wunderbar!«, lachte Felix und malte seinen Namen in den Schnee. Und als er wieder aufstand, war der Alte verschwunden. Er sah die Promenade entlang, doch er konnte ihn nicht entdecken. Aber was er gesagt hatte, das schwang noch lange in dem kleinen Wichtel nach.
Es hatte aufgehört zu schneien, als er schließlich fröhlich und stolz die Stresemannstraße hinaufging. Und als er in die Saarstraße einbog, schob sich ein riesengroßer, wunderschöner Mond durch die Wolkendecke und zauberte eine Märchenwelt. Unberührt lag der Schnee, die Bäume streckten weiß ihre Äste und Felix stand mit offenem Mund da. Atemwolken vernebelten seinen Blick. Und vielleicht auch ein paar Tränen. Er war ein Glücksbringer! Natürlich! Schließlich sagte das ja schon sein Name.
Vorsichtig trat er die ersten Spuren in den Schnee, schlich sich ins Haus und schlüpfte unter seine Decke. Die anderen schliefen schon. Und genau das tat Felix jetzt auch, mit einem Lächeln im Gesicht.
Eine Wichtel-Geschichte
Abonnieren
0 Kommentare